Von den Oderauen zum Friedrich-Wilhelm-Kanal

Es ist Herbst, und die Temperaturen sind am Morgen schon empfindlich kühl. Dennoch lohnt es sich früh aufzustehen, denn der für diese Jahreszeit typische Morgennebel ist ein Naturphänomen, das das Herz jedes Romantikers höher schlagen lässt. Besonders gut lässt er sich über Wiesen und Gewässern beobachten, und so mache ich mich auf zu einer Tour in die Oderauen südlich von Frankfurt/Oder, die ich mit einem Besuch des nahegelegenen historischen Friedrich-Wilhelm-Kanals verbinden möchte.

Gegen 7.45 Uhr starte ich am Bahnhof von Frankfurt/Oder und verlasse die Stadt in südlicher Richtung. Auf dem Weg fallen mir viele teils prachtvolle, teils verfallene Gründerzeitgebäude auf.

NSG_Mittlere_Oder_01  161004_Mittleres_Odertal_01b

In der Gubener Vorstadt zweigt unauffällig einer kleiner Weg ab, der in die Oderauen führt. Nur wenige Minuten später finde ich mich inmitten eines phantastischen Naturidylls wieder: Der aus den Wiesen aufsteigende Morgennebel, die herbstliche Vegetation und die Morgensonne erzeugen eine fast unwirkliche Lichtstimmung, die an alte Landschaftsgemälde erinnert.

NSG_Mittlere_Oder_02  161004_Mittleres_Odertal_05

NSG_Mittlere_Oder_03  NSG_Mittlere_Oder_04

Der Weg führt durch einen Wald und zwei Tunnel, die die Bahnstrecke Frankfurt–Poznan und die leider recht laute Autobahnbrücke unterqueren, bevor es direkt an das Ufer der Oder geht. Auch hier sorgt das Morgenlicht für eine eindrucksvolle Szenerie und durch den aufsteigenden Dunst wirkt es fast so, als würde man an einem heißen, dampfenden Quellsee stehen.

NSG_Mittlere_Oder_09  NSG_Mittlere_Oder_11

NSG_Mittlere_Oder_13  NSG_Mittlere_Oder_14

Am Strand finde ich zahlreiche Spuren von Tieren: Waschbären und Wildscheine sind dabei, und auch auffallend große Hundespuren. Womöglich ein Wolf, der über die Oder aus Polen herüberkam? Kurz dahinter entdecke ich einige alte Betonpfeiler, bei denen es sich um Relikte aus dem 2. Weltkrieg handelt. 1945 befand sich an dieser Stelle ein sowjetischer Brückenkopf und die Gegend war stark umkämpft. Verwittert und mit Moos bewachsen wirken die Pfeiler nun fast wie ein kleine Version des englischen Stonehenge.

NSG_Mittlere_Oder_15  NSG_Mittlere_Oder_07

Der stark zugewachsene Pfad (hüfthohes Gras und für Radfahrer kaum passierbar) mündet auf einen Feldweg, der über offenes Wiesengelände führt. Am Ende des Weges ist ein merkwürdiges schwarzes Loch erkennbar, das an den Eingang eines Hobbit-Hauses erinnert. Es ist ein röhrenförmiger Tunnel, der unter der Regionalzugstrecke nach Eisenhüttenstadt hindurchführt.

161004_Oderauen-Müllrose_16  NSG_Mittlere_Oder_17

Ich durchquere den Tunnel und erreiche wenig später das Dorf Lossow. Hier folgt nun eine leider sehr unschöne Strecke, denn der Fahrradweg führt 3 km an der B112 entlang, die hier die Ausmaße einer Autobahn hat. Der Wert der angrenzenden Immobilien dürfte durch den Bau dieser Straße wohl auf Null gesunken sein.

In Brieskow-Finkenheerd bin ich froh wieder auf kleinere Straßen ausweichen zu können und treffe auf den Friedrich-Wilhelm-Kanal. Der 1668 fertiggestellte Kanal war lange Zeit die wichtigste Schiffsverbindung auf der Strecke Breslau–Berlin–Hamburg, bis er 1891 vom größeren Oder-Spree-Kanal abgelöst wurde und verfiel. Mit seinen zahlreichen historischen Schleusen und Wehren und den zugewachsenen Ufern wirkt der Kanal sehr idyllisch und ist ein interessantes Ziel für Freunde der Industrieromantik.

NSG_Mittlere_Oder_20  NSG_Mittlere_Oder_21

NSG_Mittlere_Oder_18  NSG_Mittlere_Oder_19

NSG_Mittlere_Oder_22

Der am Kanal entlang führende Radweg ist als Teilstrecke des Radrundweges Oder-Spree-Tour durchgehend asphaltiert, was die Strecke für Radrennfahrer interessant macht. Auch Wandergruppen sind hier zahlreich unterwegs. Getrübt wird die Idylle leider durch viele Neubauten in liebloser Dämmfassaden-Optik, die entlang des Kanals entstehen und eher an eine Vorstadtsiedlung erinnern.

161004_Oderauen-Müllrose_25

Nach rund 13 Kilometern Fahrt am Kanal erreiche ich schließlich Müllrose – eine kleine Stadt an einem See, in deren Zentrum sich ein großes Getreidemühlenwerk mit roter Backsteinfassade befindet. Da Müllrose über einen Regionalzuganschluss verfügt, eignet es sich auch als Ausgangspunkt für einen Besuch des nahegelegenen Schlaubetals (siehe: Kloster Neuzelle & das Schlaubetal). Der Name Müllrose hat übrigens nichts mit „Müll“ oder „Mühle“ zu tun, sondern geht auf den slawischen Personennamen Milorad zurück.

Im weiteren Verlauf bin ich noch über die Orte Biegen und Pillgram zurück nach Frankfurt/Oder gefahren. Die Strecke ist jedoch wenig interessant und von mehreren Windparks geprägt, so dass man ebensogut in Müllrose in den Regionalzug steigen kann. Mit Umstieg in Frankfurt/Oder ist man dann in rund 1,5 Stunden wieder in Berlin.

Zurückgelegte Strecke: 60 km

Tipp: Die Oderauen eignen sich nur für Wanderer, und auch diese sollten unbedingt an wasserfestes Schuhwerk und ggf. wasserfeste Gamaschen denken, denn hier kann es nass werden. Als Start- und Zielpunkt für eine Wanderung bietet sich Frankfurt/Oder an. Der Weg am Kanal eignet sich für Radfahrer und Wanderer (wobei sich der eine oder andere Naturwanderer vielleicht an dem asphaltierten Weg stören könnte). Als Start- und Zielpunkte bieten sich die Bahnhöfe Finkenheerd und Müllrose an (Streckenlänge rund 13 km).